Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Gedanken an der Gläsernen Arche                                                                                    18.09.2017 Meine letzte Unterrichtsstunde in Latein liegt inzwischen fünfzig Jahre in der Vergangenheit. Geblieben sind mir einige nützliche Erfahrungen sowie die Erkenntnis, dass Gottheiten sich zuweilen in mythische Gestalten verwandeln konnten. Metamorphose nennt sich das und ich vermute, dass ich in den letzten drei Jahren eine solche durchlebt habe. Meine Wurzeln in EE sind längst gekappt und irgendwie fühle ich mich nach diesen drei Jahren immer mehr als Harzer, als einer, der hier heimisch (geworden) ist. Damit sich dieser Zustand verfestigt, unternehme ich kleine Expeditionen, um meine Heimischwerdung voranzutreiben. Was mir in EE nur widerstrebend in den Sinn gekommen wäre, entwickelt sich nun im Harz langsam zu einer Leidenschaft – Entdecken, Wandern und Stempel sammeln. Es ist Montagnachmittag, schönes Herbstwetter und die Touristenströme des Sommers versiegen ganz allmählich. Die Straßen sind nicht mehr so belebt, geblitzt wird aber dennoch fleißig und zwar kurz vor Ortsausgang. Das ist besonders ärgerlich, wenn die Chaussee abschüssig und frei ist. Eine Woche vor der Wahl scheint mir das keine sehr gute Idee zu sein, sagt mein Bauchgefühl, als ich aus Cattenstedt hinaus fahre. Vor mir dicht bewaldete Berghänge, hinter mir (vermutlich) ein schönes Erinnerungsfoto. Wie zum Trotz tuckert in den Serpentinen ein LKW langsam vor mir und ich im Zweiten hinterher. Wer hier überholt, sollte unbedingt einen Ausweis als Organspender bei sich führen! Mein erstes Ziel ist das kleine Örtchen Wendefurt. Hier würde man vermutlich weder nach links noch rechts blicken, stünde hier nicht die Talsperre, unter der hindurch sich die Bode zwängt. Die fließt von hier ganz gemütlich bis nach Treseburg und dann durch ihr weltberühmtes Tal bis eben nach Thale. Ich parke oben an der Staumauer, wandere einige Meter an der Bundesstraße 81 an Häusern vorbei, um hinter dem Ortsschild nach links in den Wald zu verschwinden. Der Weg führt bis zu einem Platz oberhalb der Staumauer, wo sich eine Stempelstelle befindet. Nahezu jeder markante Ort im Harz ist mit einer solchen Stempelstelle ausgestattet. Insgesamt gibt es 222 Stempel, plus die Sonderstempel, einzusammeln. Anfangs habe ich darüber gelächelt, wollte eigentlich nur den Harz kennenlernen, doch irgendwann steckt man sich mit diesem Jagdfieber an. Stolz erzählt man sich dann, wie viele Abdrücke schon im Wanderpass der „Harzer Wandernadel“ gelandet sind. Oberhalb dieser Staumauer drücke ich mir die Nummer 62 ins Heft und bewundere den Blick auf das angestaute Gewässer, während Lily das Umfeld beschnüffelt. „Da kam ein Wanderer des Weges“ und wir beide ins Gespräch. Unterhalb der Staumauer, so erzählt er mir, würde jetzt die „Gläserne Arche“ stehen, die man besichtigen könne. Dieses außergewöhnliche Kunst- und Kommunikationsobjekt stand bereits auf der großen Hohnewiese nahe Drei Annen Hohne  und jetzt entdecke ich es hier an der Staumauer. Welch ein Zufall hat mich denn hierher geführt? Den Besuch auf der Hohnewiese hatte ich verpasst, doch diese kleine Begegnung sorgt dafür, dass ich die „Arche“ doch noch sehen kann, ehe sie auf ihre weitere Reise durch Mitteldeutschland gehen wird. Die hätte ich, obwohl quasi direkt vor meiner Nase stehend, wahrscheinlich wieder verpasst. Sie hier zu finden, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Ein kleiner Trampelpfad führt hinab auf die Staumauer. An diesem schönen Ort mitten im Harz war ich schon einmal und auch diesmal fasziniert mich der Blick auf die angestaute Bode auf der einen, sowie von der 43 Meter hohen Mauer hinab, auf der anderen Seite. Da unten, in eine kleine Anlage gebettet, steht die „Gläserne Arche“. Ein Weg führt hinunter und dann stehe ich vor diesem einmaligen Objekt. Man muss nicht gläubig sein, um zu erkennen, wie zerbrechlich unsere Umwelt, ja dieser ganze Planet ist. Man muss auch nicht gläubig sein, um diesen gigantischen natürlichen Schöpfungsprozess als sehr besonders und einmalig zu erkennen. Ich stehe vor diesem Kahn aus Glas in einer überdimensionalen Hand aus Holz. Im Hintergrund diese Staumauer mit Millionen von Kubikmetern Wasser dahinter und plötzlich ist der Gedanke an meine Enkelkinder da. Und außerdem ganz viele Fragen, die weit in eine Zukunft reichen, die ich nicht erleben werde. Ich habe schon in Zeiten gelebt, in denen die Zuversicht und Hoffnung größer waren, als die Gier, alles und jeden zu zerstören. Scheiß-Kapitalismus! Während ich mir den nicht geplanten Sonderstempel in den Wanderpass drücke, wünsche ich, wir alle mögen bald weise genug sein, dem Hass (auf Fremde und andere Lebensmodelle) und dem gestrigen Gedankenmüll endlich klar die Stirn zu bieten. Minuten später rolle ich parallel zur neuen Hängebrücke über den Damm der Rappbodetalsperre, durch den Tunnel und vorbei am Parkplatz von Harzdrenalin, in Richtung Rübeland. Der kleine Ort im Oberharz trägt den Beinamen „Höhlenort“. Doch es sind nicht die Höhlen, die mich locken, sondern ein Aussichtspavillon oberhalb des Ortes hat es mir angetan. Von da oben, so sagte man mir, soll man weit über den Harz blicken können. Mal sehen! Kurz vor Rübeland fällt die Straße in mehreren engen Kurven steil hinab ins Tal, wo sich die Häuser in einer langen Schleife zwischen die steil aufragenden Felswände zwängen. Hier lenke ich mein Gefährt nach links in den Wald, wo vor dem Friedhof zwischen den Bäumen genug Platz ist. Bis zum höchsten Punkt über dem Tal sind es vor hier nur wenige Minuten Fußweg. Dort steht plötzlich ein lebensgroßer Bär, mit einer Kettensäge aus Holz geschnitzt.  Beim näheren Betrachten entpuppt sich das hölzerne Tier als „Bienenhotel“. Ein unscheinbares Zeichen für ein gewaltiges Problem, denn die Bienen sind ein untrüglicher Indikator dafür, wie es um die Natur bestellt ist. Die schlichte Kurzformel für die Wahrheit lautet: Keine Bienen – keine Menschen. Zum zweiten Mal heute werde ich bei einer Begegnung zum Nachdenken angeregt und ich stelle mir vor, wie es wäre, jeden Berufspolitiker eine Kettensäge in die Hand zu drücken und ihm einen Holzklotz zuzuweisen. UTP für Fortgeschrittene und erst danach, mit etwas mehr Demut in den Knochen, für begrenzte acht Jahre „in die Politik“. Die Bienen würden sich freuen, bei den Politprofis bin ich mir nicht sicher. Vor mir an der Kante taucht ein hölzerner kleiner Pavillon auf. Durch die Holzkonstruktion leuchtet die Weite hindurch. Ich liebe meine kleine Lily und genau deshalb muss ich sie für wenige Minuten, etwas abseits, sichern, während ich den Schritt unter das Dach und damit an den Abgrund wage. Vor mir der Hochharz in seiner ganzen majestätischen Schönheit. Nur Berge, Täler, sanfte Wiesen und Wälder bis zum Brocken sowie unter mir, direkt zu meinen Füßen, die Miniaturhäuschen, Straßen und Bahngleise von Rübeland. Zum zweiten Mal, nach dem Ausblick über Treseburg, blicke ich auf ein Panorama, das von Hand eines Zauberers gemacht scheint. Mir ist wie wieder Kind sein zu Weihnachten und ich stehe vor meiner neuen Eisbahnplatte. Erst einmal ganz tief Luft holen und diesen Wahnsinnsblick auf die faszinierenden Schönheiten der Natur genießen. Der achteckige Aussichtspavillon lockt auf einer Felsklippe, namens Hoher Kleef, auf 306 Metern Höhe über dem Bodetal. Ich stehe hier und blicke bis zum Brocken, der, 17 Kilometer entfernt, am Horizont heute gut zu sehen ist. Daneben der etwas kleinere Wurmberg bei Braunlage. Verdammt, was ist das für eine herrlich schöne Gegend, in die es mich verschlagen hat! Wenn jetzt noch eine Hexe mit Besen um die Ecke käme, mir einen Kaffee anzubieten, es wäre das Sahnehäubchen dieses Nachmittags. Da unten fährt gerade ein langer Güterzug durch den Ort, meine Eisenbahnplatte lebt, macht Geräusche bis zu mir hinauf. Auf der gegenüber liegenden Seite des Tales, auf dem Schornsteinberg, da befindet sich ein weiterer Aussichtspunkt mit Stempelstelle. Für heute muss ein Blick dorthin genügen. Wenn schon keine Hexe vorbei kommt, muss ich mich wohl selbst um einen Kaffee bemühen, denn dies hier ist nicht die belebte Rosstrappe oder der Hexentanzplatz. Um mich herum ist nur wilde Natur. Meine Lily freut sich, dass sie wieder frei laufen kann. Mein Wanderpass erhält den zweiten geplanten Stempel des Tages. Mit dem von der „Arche“ habe ich meinen Tagesplan fünfzigprozentig übererfüllt. Man sollte darüber nachdenken, mich zum Wanderaktivisten vorzuschlagen oder mir wenigstens einen heimatkundlichen Preis für Wanderberichterstattung im Harz zugestehen, denke ich und auch, was für ein schönes Land dies hier ist. Meine Metamorphose zum Harzer scheint weit fortgeschritten, denn ich habe nicht mehr das Gefühl, hier fremd zu sein. Dies alles gehört inzwischen zu mir und mir geht ein alter Folk-Song von Woody Guthrie durch den Kopf: „This land is your land, this land is my land - this land was made for you and me.“ (Dies Land ist dein Land, dies Land ist mein Land, es ist für dich und mich gemacht.)
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.